Gemischtes Rudel - ein Lehrstück

Dieses Thema im Forum "Verhalten" wurde erstellt von Mira, 11. Mai 2011.

  1. Mira

    Mira VIP-User VIP

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    Hallo zusammen

    Über ein Jahr lang lebte bei uns eine harmonische 2,5-Gruppe. Nach dem Tode des Rudelchefs Felix im letzten Dezember übernahm sein Assistent Valerio den Posten und er machte seine Sache auch recht gut. Deshalb reifte die Idee, wiederum einen zweiten Kastraten ins Rudel zu integrieren. Der Kleine wurde sorgfältig ausgesucht - ein ganz junges und frühes Frühkasträtchen. Nach menschlichem Ermessen "stimmten" die äusseren Bedingungen für ein Gelingen des Unterfangens (dass eine solche Konstellation nicht ohne Weiteres klappt, war und ist uns sehr bewusst) und Klein-Joey durfte einziehen (s. dazu auch hier: http://www.nagerforum.ch/cgi-bin/forum/showthread.php?t=17646 ).

    Sehr bald zeigte sich, dass Joey nicht gewillt war, sich im Rudel mit dem untersten Rang zufriedenzugeben. Der Kleine stiftete Unruhe, wo er nur konnte, und strapazierte den "Babyschutz" doch arg. Valerio intervenierte und wies Joey zurecht - erst mit Verscheuchen, dann mit Bissen, was den Kleinen jedoch nicht davon abhielt, den Rudelchef wieder und wieder herauszufordern, gewissermassen ein Kamikaze-Schweinchen.

    Noch warteten wir ab und hofften, Joey würde zur Vernunft kommen - schliesslich war er von der Rappelphase altersmässig noch einiges entfernt und Valerio hatte ihm klar zu verstehen gegeben, was er von einem solchen renitenten Jungtier hielt. Joey dachte jedoch nicht im Traum daran, sich unterzuordnen. Ich konnte z.B. beobachten, dass Joey von einer Ecke des Geheges in die andere stürmte, scheinbar ohne Grund, und den dort friedlich vor sich hindösenden Valerio "aufmischte". Was treibt ein so kleines Schweinchen zu solchem Tun? Ein Lümmel-Gen? Zu viel Testosteron? Für die Rappelphase war er ja eigentlich noch zu jung ...

    Es kam, wie es kommen musste und sich bereits abzeichnete: Nachdem sich die beiden Jungs vor einer Woche so richtig verknäuelten und ich eine Nacht darüber (schlecht) geschlafen hatte, musste ich zu Plan B greifen und die zwei trennen. Es war einfach nicht mehr zu verantworten.

    Der Traum vom harmonischen 2,5-Rudel, das wir (mit Felix und Valerio) mal hatten, ist somit bis auf Weiteres ausgeträumt. Valerio und Joey sind einfach nicht kompatibel, obwohl die äusseren Umstände stimmten. Die Tierchen haben eben ihren eigenen Kopf und reagieren nicht immer so, wie wir es gerne hätten.

    Nun denn, die beiden Pelzmänner haben entschieden, dass sie nicht zusammenpassen, erzwingen lässt sich nichts. Valerio ist mit Mara, Mia und Jenna ganz zufrieden und Joey kommt mit Wanda und Lucille auch recht gut zugange. Der kleine Wildfang ist viel ruhiger geworden, ich würde mal vorsichtig sagen: beide Gruppen wirken ziemlich entspannt.

    Das Unternehmen "Zwei Kastraten in einer Gruppe" ist für dieses Mal gescheitert - ein Lehrstück für das Zweibein, das glaubte, alle Vorkehrungen getroffen zu haben. Ich würde es jedoch (mit anderen Schweinchen) wieder versuchen, weil ich weiss, dass es funktionieren kann - natürlich immer mit Plan B in der Tasche.

    Über allfällige Aus-/Umbauten oder Aufstockungen denke ich später konkret nach, im Moment lasse ichs mal so, wie es ist ...;)

    Liebe Grüsse

    Claudia
     
  2. wilde Horde

    wilde Horde Erfahrener Benutzer

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    Huhu Claudia
    Mich würde jetzt aber noch was sehr intressieren .
    Weisst du was Joey für eine Kinderstube hatte ?
    Da ich den Artikel im Rodentia gelesen habe , würde mich doch die Gesellschaft in der er in den ersten 0-6 Wochen (weiss ja nicht genau in welchem alter er bei dir eingezogen ist ) gelebt hat wunder nehmen .
    Hast du darüber infos ?

    Ich halte ja selber auch ein grösseres Rudel mit mehreren Kastraten .
     
  3. Aika

    Aika Administrator Mitarbeiter Admin

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    Hoi Claudia

    Das finde ich wirklich hochinteressant und spannend, was Du hier erzählst! Vielen Dank!:dank:

    Ich habe ja soeben einen ähnlichen Versuch gestartet mit dem kleinen Sandor in der gemischten Altersgruppe.
    Vorläufig ist der kleine Bub nach einem "ersten Anschiss" von Delgado sehr brav und wohlerzogen. Er integriert sich wunderbar in die Gruppe und benimmt sich wie ein Mädel oder halt wie ein "Neutrum."
    Allerdings wurde er extrem früh kastriert, unter 200 gr (wilde Horde, Claudia, Du solltest das ja ganz genau wissen... wie schwer war er bei der Kastration?).

    Deshalb finde ich es extrem spannend, wenn wir diese unterschiedlichen Erfahrungen austauschen.
    War Dein Joey denn schon sehr früh, also bereits mit 6 Wochen, so frech oder wann kam dieses aufmüpfige Verhalten genau?
     
  4. Mira

    Mira VIP-User VIP

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    Hallo Claudia

    Joey wurde am 22. Januar geboren und hat die erste Zeit mit anderen Jungtieren und Mamis verbracht. Im Alter von 3 Wochen wurde er frühkastriert (er war und ist ein kräftiges Kerlchen), mit 4 Wochen ist er bei uns in die Haremsgruppe mit Valerio als Chef und 5 Mädels im Alter zwischen 1 1/4 und 5 1/2 Jahren eingezogen. Insbesondere die Mädel schienen, da altersmässig und charakterlich sehr unterschiedlich, Gewähr für eine gute Sozialisierung des Neulings zu bieten.



    Hallo Fränzi

    "Brav und wohlerzogen", das tönt gut!;) Vielleicht liegt es auch daran, dass dein Delgado viel bestimmter auftritt als Valerio?:a015: Valerio ähnelt vom Charakter her sehr dem verstorbenen Felix (kein Frühkastrat), der sehr friedfertig war und Streitereien möglichst auswich. Joey hingegen ist trotz seiner frühen Kastration ein echter Draufgänger und ja, er war eigentlich von Anfang an ziemlich frech, ich schätze mal, das ist einfach sein Charakter.

    Jetzt lebt er zusammen mit Wanda (rund und gemütlich) und Lucille (Zicke), beide sind erwachsen, aber noch nicht alt. Ich denke schon, dass die zwei den Bengel noch etwas erziehen werden, zumindest wirkt er ruhiger und vorsichtiger als vorher im gemischten Rudel.

    Nun wünsche ich dir, dass sich das Zusammenleben von Sandor und Delgado weiterhin so problemlos gestaltet. Vielleicht hast du ja Glück und Klein-Sandor rappelt nicht mal - Valerio hat gegenüber Felix auch nie den Aufstand geprobt.

    Liebe Grüsse

    Claudia
     
  5. wilde Horde

    wilde Horde Erfahrener Benutzer

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    Hallo Ihr Beide

    Sandor wurde am 8. April mit einem Gewicht von 156 gr. Kastriert,
    geboren wurde er am 22.3 wenn ich das recht im Kopf habe.

    Was für mich aber viel wichtiger ist , ist das dein Joey ohne Vater (ausgewachsener Kastrat ) augfgezogen wurde , und bis zum Umzug keinen mänliches Vorbild und Erzieher hatte, der ihm ganz klar in der Prägungsphase vorlebte wie es zu und her geht .
     
  6. Anabel

    Anabel Moderator Mitarbeiter Admin

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    Hallo

    Ich denke auch, dass hier die erste prägende Phase entscheidend war, nämlich: er wuchs ohne ältere Kastraten in den ersten Wochen auf.

    Ich bin überzeugt, dass die beste Sozialisierung ist, wenn die Jungs in einer Gruppe mit Jungtieren, Mamis und Kastraten aufwachsen. Das sehen wir v.a. in der Gruppe, wo ein Mami mit gleich 3 Frühkastraten einzog und bereits ein älterer Kastrat lebte. Die drei lernten.

    Gerade bei diesen drei erlebten wir, wie prägend das Rudelleben ist.

    Gruss
    Jasmin
     
  7. Aika

    Aika Administrator Mitarbeiter Admin

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    Ich glaube auch, dass dies der springende Punkt ist.
    Sandor hatte ja den tollen Tom in seiner Gruppe.

    Ich bin sehr gespannt, wie sich das Bürschlein entwickelt. Vorläufig kann ich nichts sagen, denn er ist halt noch ein Baby.

    Aber wenn ich Dich richtig verstehe, Claudia, dann war Joey schon in sehr jugendlichem Alter aufmüpfig, oder?
     
  8. Rebecca

    Rebecca VIP-User VIP

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    Hallo Zämä

    Auch ich habe eine Haremsgruppe mit zwei Frühkastrahten. Der zweite Frühkastraht den wir dazuholten ist in einer gemischten Gruppe mit erwachsenem Kastraht und Mamis mit ihern Jungtieren aufgewachsen. Doch bei uns ist es noch ein wenig anders. Wir haben ein sehr dominantes Weibchen welche die Cheffin ist. Die beiden Frühkastrahten haben nichts zu sagen. Sie verstehen sich auch sehr gut. Sie schlafen und fressen nebeneinander. Anfangs hatten sie einmal Streit miteinander und der eine trug eine kleine Wunde an der Lippe davon. Doch seither ist nichts mehr dergleichen passiert.
     
  9. Mira

    Mira VIP-User VIP

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    Hallo zusammen

    Hm, das mit der Prägephase mag sein, aber die dauert ja einiges länger als vier Wochen, nicht wahr? Und im Alter von vier Wochen ist (der bereits aufmüpfige) Joey ja schon bei uns in das gemischte Rudel eingezogen, das erwachsene männliche "Vorbild" - sofern Valerio denn eines ist - war also vorhanden.

    Wie Rebecca schreibt, ist auch der Einfluss der weiblichen Tiere nicht zu unterschätzen. Wir haben z.B. ein sehr dominantes Weibchen, das dem Kleinen von Anfang an gezeigt hat, wos langgeht. Sie hat sich von Joey nichts, aber auch gar nichts gefallen lassen. Interessanterweise hatte der Kleine übrigens trotz seines ansonsten frechen Verhaltens am Futternapf nichts zu melden, dort war klar, dass er das rangniedrigste Schweinchen war.

    Valerio(meines Wissens in den ersten Wochen auch mit Mamis und anderen Jungtieren zusammen) ist seinerzeit erst mit 6 oder 7 Wochen bei uns eingezogen und hier auf den Softi-Rudelchef Felix gestossen. Niemals gab es Zoff zwischen den beiden, Valerio hat nicht mal versucht, Felix vom Chefposten zu vertreiben, eine eigentliche Rappelphase war nicht zu erkennen.

    Wenn ich Joey so mit Valerio vergleiche, muss ich sagen, dass die beiden eben einen völlig unterschiedlichen Charakter aufweisen: Valerio hat am liebsten seine Ruhe und Joey ist ein Draufgänger - auch Frühkastraten sind nicht alle gleich!

    Vielleicht hätte ein wirklich dominanter Kastrat den Kleinen in der ersten Zeit ein wenig "zurechtgestutzt", vielleicht liegt das Benehmen von Joey aber auch in seiner Natur, ist Teil seines Charakters.

    Beim Menschen streiten sich die Wissenschaftler/-innen noch, wie viel vom Verhalten/Charakter in den Genen steckt und wie viel durch die Einflüsse der Umwelt zustande kommt: 50:50 oder 60:40? Auch wenn Meerschweinchen etwas weniger kompliziert gestrickt sind als Menschen, dürften auch hier nicht alle Wesensmerkmale auf eine Komponente, die im Umfeld begründet liegt, zurückzuführen sein. So einfach ist die Sache eben nicht ...

    Liebe Grüsse

    Claudia
     
  10. Anabel

    Anabel Moderator Mitarbeiter Admin

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    Hallo

    Der Charakter ist sicher eine Komponente, die ich nicht zu unterschätzen ist. Im System denke ich aber schon, dass es entscheidend ist, wie die ersten Wochen verlaufen. Die Sozialisierungsphase dauert aus meiner Sicht mind. 6 Monate. Joey hat wahrscheinlich seine Grenzen nie gesetzt bekommen.

    Die Weibchen sind oft die heimlichen Rudelführer. Winnie ist für mich so ein typisches Beispiel. Dort war die Konstellation 4 zu 6. Nachdem sie sich aber so mit Jacky angelegt hatte, haben wir ihn auch rausgekommen und in unsere andere Gruppe gesetzt. Alle vier Kastrate sind früh kastriert, aber keine echten Frühkastraten.

    Wir haben gerade in den letzten Jahren gut gemischte Gruppen. Der einzige, der uns forderte, war Homer. Aber als er ein 2 Jahre alt war, ging es auch bei ihm mit einem früh kastrierten gut. Ebenfalls alleine mit Weibchen war Lukas. Er war so ein Sensibeli, der wahrscheinlich bei jedem unter die Räder gekommen wäre.

    Gruss
    Jasmin

    PS Beim Menschen habe ich von Studien gelesen in Bezug auf Intelligenz von eineiigien Zwillingen, welche auch in unterschiedlichen sozialem Milieu aufgewachsen sind.
     
  11. Fray

    Fray VIP-User VIP

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    Hoi mitenand

    Das ist einerseits sehr interessant, was du erzählst, Claudia. Auf der anderen Seite tut's mir natürlich leid, dass das Zusammenleben gescheitert ist und du das schön grosse Gehege unterteilen musstest. Sowas macht man wirklich nur zum Wohl der Tiere, gell.

    Ich anerkenne, wie wichtig die gründliche Sozialisation der kleinen Hüpfer ist und dass es bestimmt in einer Gruppe mit erwachsenem Kastraten am optimalsten ist. Aber das kann niemals alleine der Grund sein, dazu habe ich zuviele Unterschiede im Charakter der Buben in den verschiedenen Altersstufen erlebt. Zudem wird der Faktor des Kastra-Zeitpunktes ebenfalls eine Rolle spielen, die Diskussion dazu läuft ja grad an.

    Meiner Meinung nach ist es hier wie bei vielen anderen Situationen auch ein Päcklein an Ereignissen, das das Resultat ausmacht.

    Liebi Grüess,
    Gabriela